Institut für methodische Schießlehre
Sicherheit - Grundlagen - Waffen
Blogartikel
Mehr als vier Regeln brauchen wir nicht!
Es ist der uralte „Kampf“ zwischen „Regeln“ und „Anweisungen“: Regeln befolgen wir gerne, speziell wenn wir ihren Sinn verstehen. Da reichen dann auch einfache Konstellationen, wie „Bitte“ und „Danke“ sagen, um sie nach kürzester Zeit zu verinnerlichen und dementsprechend im Ergebnis zu „leben“. „Leben“ bedeutet, das wir über ihre Anwendung nicht mehr nachdenken müssen – wir tun es automatisch, und zwar jedes Mal richtig.
„Anweisungen“ sind hingegen künstliche Systeme, die oft sehr ausführlich sind und versuchen durch Detailverliebtheit alles abzudecken, was sich möglicherweise in ihrem Einflussbereich befinden könnte. Das Leben von Regeln ist auch beim Thema "Sicherheit" künstlichen Systeme überlegen.
Auf Schießständen oder auch bei behördlichen „Sicherheitsanweisungen“ haben wir alle schon sehr ausführliche, teils mehr als eine DinA4 Seite lange „Anweisungen“ lesen dürfen. Häufig lesen sich solche "Anweisungen" folgendermaßen:
„Wenn AB, dann C, wenn aber XY, dann Z, es sei denn das W, dann V. und im scharfen Einsatz dann wieder ganz anders als hier bei der Ausbildung auf dem Stand.“
Durch das unrealistische, dogmatische Ziel von „absoluter Sicherheit“ sind Sicherheitsanweisungen, wie sie häufig bei Behörden oder auch in Sportordnungen zu lesen sind, oft überfüllt mit unnatürlichen und teilweise unlogischen Vorgängen, welche wiederum genau gegen das Prinzip des „Sicherheit leben“ bzw. das intuitive Anwenden spricht (Beispiel: unnötige "Entladespielchen" zwischen Übungen oder in Vorräumen von Schiessständen).
Beispiel:
„Danke“ sagen ist eine intuitive, gesellschaftliche Regel und nicht etwa ein künstlich konstruiertes System.
Ich muss nicht nachdenken, ob ich „“Danke“ sage oder nicht, ob es Sinn macht oder nicht oder ob ich es in einer spezifischen Situation anwende oder vielleicht doch nicht. "Regeln" leben wir und führen sie automatisch korrekt aus, ohne darüber nachzudenken oder nachdenken zu müssen.
Durch jahrelange Erfahrung sowohl als Teilnehmer an Ausbildungslehrgängen als auch in meiner Tätigkeit als Ausbilder konnte ich die häufigsten Fehler von Schützen-Neulingen und auch vielen "Experten" beobachten und habe sie für mich dokumentiert. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, warum es dringend notwendig ist, auf diese international etablierten, 4 goldenen Regeln für den sicheren Umgang mit Feuerwaffen detailliert einzugehen und es wäre aus meiner Sicht sehr sinnvoll, sie auch in Deutschland auf breiter Front (z.B. bei Jagd- und Schiesssportverbänden) vereint in ihrer ursprünglichen Einfachheit einzuführen und dadurch alles überflüssige wegzulassen.
Jeff Cooper hat vor mehr als 50 Jahren seine „4 Regeln für das Leben mit der geladenen Waffe“ formuliert und diese sind in ihrer ursprünglichen Form nach wie vor gültig. Vor allem aber sind die eines: ausreichend. Mehr als diese vier Regeln brauchen wir nicht, egal ob wir Jäger, Soldat, Polizist oder Sportschütze sind.
Die vier folgenden Regeln besitzen auch heute noch, mehr als 50 Jahre nach ihrer Erfindung uneingeschränkte Gültigkeit und werden diese auch nicht verlieren.
Alle dieser Regeln haben die gleiche Wertigkeit, weshalb man sie alle Nr. 1 nennen könnte. Sie sind alle miteinander verflochten, aber man prägt sie sich am einfachsten in dieser Reihenfolge ein:
Regel Nr. 1: Jede Waffen ist geladen.
Wenn jede Waffe geladen ist, dann folgt daraus
Regel Nr. 2: Die Mündung überstreicht nur das, was ich auch beschießen möchte
Wenn sich eine Waffe in ordnungsgemäßem Zustand befindet, dann wird ausschließlich die Betätigung des Abzugs eine Schussabgabe verursachen. Daraus folgt
Regel Nr. 3: Der Finger berührt erst dann den Abzug, wenn die bewusste Entscheidung zur Schussabgabe getroffen wurde
Wenn ich einen Schuss abgeben will, dann muss ich vorher
Regel Nr. 4: Ich kenne mein Ziel und weiß, was sich dahinter (und davor) befindet.
beachtet haben.
Das sind die 4 goldenen Sicherheitsregeln, kurz und knapp zusammengefasst. Hinter diesen einfach und minimalistisch formulierten Regeln steckt jedoch sehr viel mehr.
Im Detail bedeuten die einzelnen Regeln Folgendes:
Dieses erste Gebot der Waffensicherheit muss wörtlich genommen werden, auch wenn Du dabei riskierst vor uninformierten Menschen dumm auszusehen. In der Gegenwart von Profis verdienst Du Dir dadurch hingegen Respekt, denn:
Wenn jede Waffe geladen ist, dann behandele ich jede Waffe gleich.
Ich mache keinen Unterschied zwischen geladen und ungeladen. Wenn jede Waffe geladen ist, dann richte ich die Mündung nicht auf etwas, was ich nicht in Kauf nehme zu töten oder zu zerstören. Das ist bereits die Regel Nr. 2, auf die wir im nächsten Absatz gesondert eingehen.
Natürlich kann eine Waffe nicht feuern, wenn der Verschluss geöffnet ist, die Kammer sichtbar leer und sich schliesslich auch kein Magazin in der Waffe befindet. Aber richte ich sie dann auf meinen Jagdhund, mein Auto oder einen anderen Menschen? Auf keinen Fall, denn: Wenn ich mir angewöhne, dass ich eine Waffe JETZT gefahrlos z.B. auf einen anderen Menschen richten kann, dann ist dies bereits der erste Schritt zu einem Unfall - denn irgendwann werde ich falsch liegen - das ist das Gesetz der großen Zahlen.
Der Hintergrund ist folgender: Wiederholt ausgeführte Bewegungen werden unbewusst aufgenommen und tief im Nervensystem abgespeichert. Sie werden irgendwann letztendlich unbewusst und vollautomatisch ausgeführt. Speziell wenn wir müde sind, unkonzentriert oder unter Stress stehen, läuft eher der Autopilto ab. Haben wir uns etwas falsches angewöhnt, dann kann das zu Fehlern führen, die wir uns aber im Umgang mit Schusswaffen nicht leisten können.
Im Extremfall wird als Ergebnis dann eine Waffe eben genau dann geladen sein, wenn wir uns sicher sind, dass sie es nicht ist und wir sie "gefahrlos" auf etwas richten, was wir gar nicht zerstören wollen. Dieses Risiko können wir jedoch ganz einfach vermeiden, wenn wir uns an die Regel Nr. 1 halten. Das ist das Schöne an dieser einfachen, minimalistischen Formulierung: sie lässt uns keine Optionen zum falschen Handeln und schützt uns und andere dadurch vor uns selbst.
Bei der Beachtung und Anwendung der 4 goldenen Sicherheitsregeln geht es letztendlich um die Macht von guten Gewohnheiten. Speziell geht es um den Aufbau von guten und um das Vermeiden von schlechten Angewohnheiten. Jeder von uns weiß, wie schwierig es ist, schlechte Angewohnheiten wieder loszuwerden und das beste Mittel gegen schlechte Angewohnheiten ist nach wie vor eine GUTE Angewohnheit.
Fun - oder auch "not so fun" fact: die meisten Schiessunfälle passieren mit "ungeladenen" Waffen und in der praktischen Anwendung sollten wir in der Handhabung einfach keinen Unterschied machen zwischen einer geladenen und einer ungeladenen Waffe.
Wenn alle Waffen für uns geladen sind - selbst diejenige, vor unseren Augen geraden von jemand anderem überprüft wurde - dann nehmen wir uns selbst die Optionen überhaupt einen Fehler zu begehen. So schützen wir sowohl uns als auch andere vor uns selbst, denn niemand ist perfekt.
Die zweite Sicherheitsregel ergibt sich aus der ersten, wodurch es besonders einfach wird, sich diese zu merken:
Wenn jede Waffe geladen ist, dann liegt es bereits in unserem eigenen Interesse, dass wir die Mündung nur auf Dinge richten, die wir auch beschießen und damit in Kauf nehmen würden zu beschädigen oder zu zerstören. Hier machen wir uns bereits die Macht der guten Gewohnheit zunutze!
Wahrscheinlich hat jeder von uns schon einmal auf der Jagd oder auf dem Schießstand die unangenehme Erfahrung gemacht, in die Mündung eines achtlosen Waffenbesitzers schauen zu dürfen. Im besten Fall wurde dieses Erlebnis begleitet von dem Satz "die (Waffe) ist nicht geladen".
Wenn wir ein solches Verhalten bei Waffenbesitzern beobachten, dann ist das einerseits ein Zeichen für eine mangelhafte Ausbildung, für die der Anwender wahrscheinlich erstmal selbst nichts kann.
Andererseits ist es jedoch auch ein Beweis für fehlendes Bewusstsein und einen Mangel an Achtsamkeit beim Schützen selbst, wofür er wiederum zu jedem Zeitpunkt selbst verantwortlich ist.
Der Grund, warum wir IMMER maximale "Mündungsdisziplin" walten lassen sollten, ist jedoch ganz einfach: wenn ich die Mündung IMMER in eine sichere Richtung halte, dann werde ich selbst bei einer ungewollten Schussabgabe keinen oder wenn nur einen minimalen Schaden anrichten. Im Ergebnis gibt es keinen Unterschied zwischen einer gewollten und einer ungewollten Schussabgabe: das, was durch das Projektil getroffen wird, wird nicht mehr so sein, wie es vorher gewesen ist. Dem Zielmedium ist es relativ egal, ob der Schuss, durch den es zerstört wurde, absichtlich oder unabsichtlich abgegeben wurde und jeder Schütze ist für jeden einzelnen seiner Schüsse verantwortlich.
Was bedeutet das für uns in der Praxis? In der Praxis bedeutet es für uns, dass wir die Mündung JEDER Schusswaffe ZU JEDEM ZEITPUNKT in die sicherste Richtung halten. Da sich diese Richtung speziell in einer dynamischen Umgebung (z.B. Jagd) ändern kann, haben wir die Verantwortung hier stets besonders achtsam zu sein.
Der Auslösemechanismus ist das, was eine Schusswaffe dazu bringt einen Schuss auszulösen. Schusswaffen, die sich in ordnungsgemäßen Zustand befinden, gehen nicht von alleine los. Auch wenn wir in den Medien immer wieder lesen dürfen "es löste sich ein Schuss als XY...." ist es wahrscheinlicher, dass bei den meisten dieser "Unfälle" ein Finger am Abzug der jeweiligen Waffe gewesen ist - wahrscheinlich ohne dass es der jeweilige Schütze wahrgenommen hat (Stichwort: Achtsamkeit). Dies ist nichts anderes als unsachgemäße Handhabung und die muss vermieden werden.
Wir sind schon einen ganzen Schritt weiter, wenn wir uns eine einzige Sache ganz bewusst machen: Der Abzugsfinger ist das, was einen Schuss aus-"löst" und nichts anderes. Daher ist es unabdingbar, das der Bewegung des Abzugsfinger zum Abzug hin eine bewusste Entscheidung vorausgeht und er sich nicht etwa "gewohnheitsmässig" dort befindet.
Wenn wir (noch) nicht schiessen wollen, dann sollte sich unser Abzugsfinger daher "hoch und lang" und damit so weit weg wie nur möglich vom Abzug befinden.
Es ist sehr einfach, gegen diese Regel Nr. 3 zu verstoßen, denn der Abzug einer Waffe ist naturgemäß immer ergonomisch so positioniert, das er vom Zeigefinger bestmöglich und leicht erreicht wird. Der Vorteil ist zwar ein ergonomisch bestmöglicher Bewegungsablauf bei der Schussabgabe, der sich dadurch ergebende Nachteil hat jedoch auch eben diesen Ursprung: liegt der Finger während des Zustands des "nicht-schiessens" nur neben dem Abzug und eben nicht hoch und lang, dann reicht ein plötzlicher Moment der Anspannung - z.B. das Stolpern im Wald auf der Nachsuche oder der Sprint beim laufen über einen IPSC-Parcour, um durch die Kontraktur der großen beteiligten Muskelgruppen den Abzugsfinger unbemerkt abkrümmen zu lassen:
Wenn die großen Beinmuskeln überraschend kontrahiert werden, wird sich auch die Schusshand aufgrund der unkontrollierten Kontraktion der Handmuskulatur mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls UNBEWUSST, UNGEWOLLT und UNKONTROLLIERT schließen und damit auch der Abzugsfinger. Eine ungewollte Schussabgabe ist bei falscher Positionierung des Abzugsfinger dann oft die Folge.
Ohne angemessene Unterweisung von Anfang an entsteht sehr leicht die Angewohnheit, den Finger beim Kontakt mit der Waffe direkt an den Abzug zu legen.
Geschosse durchschlagen meistens das Ziel, sei es eine Papierscheibe, ein Stück Wild oder im behördlichen Einsatzkontext einen Täter. Der Schaden, den Geschossreste oder -splitter anrichten, hat ebenfalls der Schütze zu verantworten. Daher ist es unabdingbar, das wir uns vor der Abgabe jedes Schusses bewusst damit auseinandersetzen, ob ausreichender Geschossfang vorhanden ist oder eben nicht. Auch auf dem Schiessstand sollten wir uns das angewöhnen, einfach um es immer zu tun. Ist aus diesem Winkel hinter der Scheibe der / dem Stück Wild / dem Täter auch ausreichend Geschossfang?
Machen wir diese 4 einfachen und simplen Regeln zum Teil unseres Lebens, ist eine unbeabsichtigte Schussabgabe mit ihren unkalkulierbaren Folgen ausgeschlossen. Wichtig ist es, dass wir sie zu einem Teil von uns machen und sie immer und zu jeder Zeit "leben". Nur dann werden wir sie unbewusst und in der Folge auch immer anwenden. Auf diese Art und Weise schaffen wir einerseits aktiv Sicherheit und gehen andererseits mit gutem Beispiel voran, so das andere Menschen unser (richtiges) Verhalten imitieren können.
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ÜBER DEN AUTOR
Christian Bender
Christian Bender ist Experte für Resilienztraining und stressresistente Waffenhandhabung. Er ist seit 1994 Jagdscheininhaber, zertifizierter Schiessausbilder und u.a. Mitglied der "International Association of Law Enforcement Firearms Instructors" IALEFI. Christian Bender hat bereits zahlreiche Fachartikel und Vorträge zu den Themen Waffenhandhabung, Schiesstechnik, Ballistik und vielen anderen, relevanten Themengebieten verfasst, in denen er sein Wissen und seine Expertise geteilt hat.
Durch diesen Blog kannst Du von seinem geballten Wissen und von seinen fast 30 Jahren Erfahrung in den Bereichen Jagd und praktische Schießausbildung profitieren.
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